Sprache Gendern

Dialog über Feminismus

Wir stehen dazu, dass wir feministisch sind. Manche verstehen das falsch. Doch das lässt sich korrigieren. Ein beispielhafter Maildialog.

Schon seit über 30 Jahren beschäftigen wir uns mit Feminismus und Androzentrismus. Doch seitdem wir dies auch auf unserer Website sichtbar machen, kriegen wir öfters Mails von Menschen, die schlechte Erfahrungen mit Feminismus gemacht haben und fälschlicherweise annehmen, wir wären kopflose radikale Feminist.innen, die allen Männern den Tod wünschen. (Anmerkung: Wer Männern den Tod wünscht, ist alles andere als feministisch, sondern schlicht menschenfeindlich.) Die zunehmende Polarisierung in dieser Frage ist schädlich für ein gleichberechtigtes Zusammenleben in „Lust und Sympathie“ (Joint Venture). Wir haben zwar nicht den Eindruck, dass es von diesen „radikalen Feminist.innen“ so viele gibt, wie weitläufig angenommen wird, doch anscheindend nehmen viele das anders wahr und ordnen auch uns allzuschnell dazu.

Um dies zu verdeutlichen (und uns zukünftig zu ersparen, dass wir wertvolle Zeit, die in Grundrechte und Datenschutz fließen könnte, in Einzelantworten investieren) veröffentlichen wir hier beispielhaft einen Mail-Dialog. Selbstverständlich mit dem Einverständnis des Mailautoren, unter dem Pseudonym mk_x4u.

Liebe Digitalcourage-Mitarbeiter,

überlegt Euch gut, was ihr hier tut. Macht diesen Blödsinn nicht mit! Wenn Ihr schreibt (in Eurem Blog "Leitfaden für eine gendergerechte Sprache"): "Wir bemühen uns um Konsistenz, ..." dann scheint Ihr Euch nicht recht klar zu sein darüber, dass das Konzept einer konsequent umgesetzten "gendergerechten Sprache" nicht nur im Extremfall zur völligen Unverständlichkeit führt (die Beispiele aus Leipzig dürften Euch geläufig sein), und im Normalfall zur semantischen Distorsion ("Studenten" <=> "Studierende"): *tatsächlich ist der Begriff der **"gendergerechten Sprache" seiner Tendenz nach ein Euphemismus für "Sprachtotalitarismus"*. Durch solche Aktionen - wie auch immer sie benannt werden - schafft ihr eben nicht mehr, sondern weniger Binnendifferenzierung; die Vielfalt des Ausdrucks wird der Einfalt einer Ideologie geopfert, die vorgibt, die Welt über ihren Sprachgebrauch "richten" zu können. Und bei Digitalcourage steht Ihr ja inhaltlich für das Gegenteil, so habe ich Euch stets erlebt, mit diesem Impuls habt Ihr mich oft begeistert ... Lasst Euch das gesagt sein von einem gelernten Philosophen und Linguisten; und von Ludwig Wittgenstein: "Worte haben die Bedeutung ihres Gebrauchs in der Sprache". (Dort sollte man sie auch lassen ...)

Unsere Antwort:

Hallo mk_x4u, als ebenfalls Philosophin und Linguistin, (die sich auch ausgiebig mit Wittgenstein beschäftigt hat) vertrete ich da eine ganz andere Meinung. Aber von Vorne. Gerade in der Philosophie ist die Sprache schon kompliziert genug. Deshalb habe auch ich immer die vielen komplizierten Formulierungen à la „Der/Die Bewerber/in sollte seine/ihre Fähigkeiten entsprechend seiner/ihrer...“ abgelehnt. Da ich mir jedoch sehr wohl darüber im Klaren bin, dass Sprache das Denken beeinflusst, wollte ich auch nie nur im generischen Maskulin schreiben. Ich beschäftige mich seit Jahren mit der Suche nach einer Art und Weise, den Kuchen zu essen und ihn dennoch zu behalten. Unser Leitfaden schafft dies, wie bisher noch keine andere Vorgabe. Ich bin kürzlich in den Genuss gekommen, eine komplette Bachelorarbeit in dieser Form zu lesen. Ich habe noch nie einen genderneutralen Text gelesen, bei dem so wenig auffiel, dass er sich einer neutralen Sprache bedient. Es ist nicht richtig, dass Texte dadurch unlesbar oder unverständlich werden. Solche Formen des „genderns“ lehnen wir für uns, wie in unserer Genderrichtlinie auch geschrieben steht, ab. (nachträgliche Anmerkung: Das heißt allerdings nicht, dass wir sie verurteilen. Wer mit radikaleren Formen experimentieren möchte, soll das gerne tun. Doch wir glauben nicht, dass uns dies langfristig einer allgemeinen Lösung näher bringt.) Hingegen ist es sehr evident, wozu es führt, wenn wir weiterhin in unserer Sprache die Frauen verschweigen. Z.B. können wir uns bewusst machen, dass die Verantwortung für den derzeitigen Überwachungsskandal sprachlich von Angela Merkel abgelenkt wird, wenn wir noch heute vom „Kanzleramt“ sprechen. Nicht nur die positiven Aspekte von Frauen werden in der männlich geprägten Sprache verschleiert. Auch die negativen Aspekte und ihre Verantwortung. Anatol Stefanovitsch (Linguist) hat dies in einem Vortrag auf dem 29C3 sehr gut dargestellt. Sieh dir das Video doch einfach mal an. Falls dich das alles nicht überzeugt, dann lass uns doch die Freiheit, Methoden auszuprobieren, wie wir die Situation verändern können. Manche Dinge muss man einfach ausprobieren. Es tut nicht weh und das Auge gewöhnt sich beim Lesen schnell daran. Ich hoffe, dass du uns auch weiterhin gewogen bleibst und dich nicht davon abschrecken lässt, dass wir an diesem einen Punkt unterschiedliche Positionen vertreten. Ich persönlich finde es sehr schade, dass gerade das Thema Feminismus häufig dazu führt, dass alle anderen Gemeinsamkeiten sofort vergessen werden. Warum das so ist? Nun, darauf finde ich nur die Antwort, dass Feminismus eine Sonderposition zugewiesen kriegt, die sich mit Logik nicht mehr erklären lässt. Denn wer sein Gegenüber ernst nimmt, verhöhnt es nicht, bei einer Meinungsverschiedenheit. Genau das passiert bei Feminismusfragen leider immer mehr.
Beste Grüße aus Bielefeld, Leena Simon

Und die Antwort von mk_x4u:

Hallo Leena, vielen herzlichen Dank für Deine ausführliche und differenzierte Antwort. Sie ist für mich in einem Grundton des gegenseitigen Wohlwollens geschrieben, den ich in der „Gender“-Debatte oft schmerzlich vermisse; auch wenn ich selbst etwas forscher formuliert hatte, so war dies doch in derselben Intention passiert. Ich gehöre im Übrigen nicht zu den Menschen, die Freude daran haben, eine einmal eingenommene Position wie in einem Stellungskrieg zu verteidigen, an dessen Ende die Vernichtung des Gegners (oder aber die eigene) steht. Ich empfinde vielmehr Freude gerade dann, wenn die von mir nicht vertretene Position gute Argumente hat; und wenn diese im gegenseitigen Austausch schließlich eine Form findet, gegen die ich die eigene, bisher eingenommene Position wie eine zu eng gewordene Haut eintauschen kann, dann ist das für mich das größte (wenngleich ein seltenes) Glück. Das hat auch nichts mit einem „was-kümmert-mich-meine-dumme-Meinung-von-gestern“ zu tun: ich habe oft die Erfahrung gemacht, dass erst aus der direkten, freundschaftlich-klaren Konfrontation von Ideen neue entstehen - gemeinsam. - So verstehe ich auch Euer Experimentieren, und das nötigt mir, unabhängig von meiner differierenden Haltung, Achtung ab; denn ihr müsst Euch ja nach zwei Seiten hin verteidigen, nicht nur gegen Leute wie mich, sondern auch gegen die „Scharfmacher“ auf der anderen Seite. Dass Ihr auf diesem Freiraum beharrt: das ist für mich das schönste Exempel für eine gelebte Hacker-Ethik im besten Sinn.
Viele Grüße mk_x4u

Dieser Mailaustausch hat uns sehr bewegt, denn er zeigte uns Verschiedenes:
1. Es ist möglich, in dieser Sache unterschiedlicher Meinung zu sein, ohne sich gleich gegenseitig die Köpfe einzurammen.
2. Mit Verständnis für einander kommen wir im Dialog weiter als mit Vorwürfen.
3. Wir dürfen nicht zu schnell Menschen in eine frauenfeindliche Ecke stellen, nur weil sie nicht wissen, was Androzentrismus ist.
4. Wir dürfen nicht zu schnell Feministinnen in eine radikale (männerhassende) Ecke stellen, nur weil sie mal genervt reagieren oder unüberlegt handeln.
5. Es gibt nicht nur schwarz-weiß, auch nicht in Bezug auf den Feminismus.
6. Die zunehmende Polarisierung kann durch Besonnenheit und Geduld aufgehalten werden.
7. Man kann uns auch unterstützen, wenn man unsere Position zum Feminismus nicht unterstützt.