EuGH-Urteil: Fingerabdruckpflicht ist angezählt

Teilerfolg für Klage gegen Fingerabdruckpflicht im Personalausweis: Die Pflicht zum Fingerabdruck ist erstmal nicht weg – aber ob wir sie in Zukunft noch haben werden, ist seit dem heutigen Tag wieder offen.

P r e s s e m i t t e i l u n g 
Bielefeld, 21.3.2024

Verordnung zur Speicherpflicht für Fingerabdrücke ungültig

Teilerfolg für Klage gegen Fingerabdruckpflicht im Personalausweis: Der EuGH ist der Argumentation von Digitalcourage gefolgt, dass die EU-Verordnung nicht in einem korrekten Verfahren beschlossen wurde.

„Wir hatten von Anfang an gerügt, dass die Verordnung nur einstimmig in einem besonderen Gesetzgebungsverfahren beschlossen werden kann. Das hatten alle anders gesehen: Das EU-Parlament, der Rat, die EU Kommission und die Generalanwältin. Der EuGH hat uns da jetzt Recht gegeben. Das ist ein Erfolg”,

sagt Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler von der Kanzlei Meisterernst Düsing Manstetten, der Digitalcourages Kläger Detlev Sieber vor dem EuGH vertreten hat.

Allerdings bleibt die Speicherpflicht bis maximal 31. Dezember 2026 in Kraft – also müssen vorläufig auch weiter Fingerabdrücke abgegeben werden. Bis dahin hat die Gesetzgeberin Zeit, eine neue Gesetzesgrundlage mit dem korrekten Verfahren zu schaffen. Das korrekte Verfahren erfordert unter anderem eine Einstimmigkeit im EU-Rat. Ob es in zwei Jahren noch eine Pflicht zur Abgabe der Fingerabdrücke im Personalausweis geben wird, ist damit offen.

Digitalcourage hätte sich klareres Urteil gewünscht

Digitalcourage freut sich über den Erfolg, ist andererseits aber enttäuscht, dass der EuGH zwar anerkennt, dass Grundrechte betroffen sind, diesen Eingriff aber grundsätzlich für verhältnismäßig hält.

Detlev Sieber von Digitalcourage, der vor dem EuGH als Kläger aufgetreten war, erklärt:

„Ich möchte als Bürger nicht behandelt werden wie ein Tatverdächtiger in einem Verbrechen. Das anlasslose Einsammeln biometrischer Daten entspricht nicht den Werten von Demokratien – sondern der Kontrollsucht von Polizeistaaten.”

Julia Witte von Digitalcourage gibt zu bedenken:

„Der EuGH verlässt sich darauf, dass es sich bei dem Chip in den Ausweisen um ein “hochsicheres Speichermedium” handelt. Dabei wissen wir aus Erfahrung, dass Verfahren und Technologien, die heute noch als sicher gelten, in einigen Jahren leicht zu knacken sein können.”

Insbesondere Sicherheitsrisiken, die durch die Erfassung und Speicherung der Fingerabdruckdaten außerhalb des Ausweises entstehen und eine Formulierung, die eine Zweckentfremdung der Daten ermöglicht, wurden nach Dafürhalten von Digitalcourage nicht genug gewürdigt: Die der Fingerabdruckpflicht zugrunde liegende EU-Verordnung lässt zu, dass die Fingerabdrücke auch für andere Zwecke als die Ausweiserstellung genutzt werden können, wenn ein EU-weites oder ein nationales Gesetz das vorsieht. Die Fingerabdrücke werden keineswegs sofort gelöscht, wenn der Personalausweis hergestellt worden ist. Sie können bis zu 90 Tagen lang weiter gespeichert werden. Auf diese Fingerabdrücke kann dann auf der Grundlage eines anderen nationalen oder EU-weiten Gesetzes zugegriffen werden.

Die EU-Verordnung gestattet so eine Zweckentfremdung nicht, sagt der EuGH in seinem Urteil. Allerdings macht die bisherige Formulierung in der Verordnung die Zweckentfremdung möglich. Hier stiehlt die EU sich aus der Verantwortung: Der missbräuchliche Zugriff auf Daten kann nicht alleine dadurch ausgeschlossen werden, dass er nicht erlaubt ist.

Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler fasst zusammen:

„Die EU macht hier quasi die Hintertür weit auf, stellt alles zum Abtransport der Fingerabdruck-Daten zur Verfügung – und sagt uns: Da kann nichts passieren, denn es ist ja nicht erlaubt.”

Ob es Fingerabdruckpflicht in Zukunft noch geben wird, ist offen

Die Pflicht zum Fingerabdruck ist erstmal nicht weg – aber ob wir sie in Zukunft noch haben werden, ist seit dem heutigen Tag wieder offen. Denn dafür müsste der EU-Rat einstimmig dafür stimmen. Oder anders gesagt: Ein einziges Mitgliedsland, das nicht zustimmt, kann die Fingerabdruckpflicht kippen.

Rena Tangens, Gründerin und Vorstand von Digitalcourage, schaut nach vorne:

„Die Entscheidung liegt nun wieder bei den Mitgliedsstaaten. Wenn wir dort Unterstützer für unsere Position für Persönlichkeitsrechte und gegen die Sicherheitsrisiken von Fingerabdrucksammlungen gewinnen, wird es keine neue EU-Verordnung geben. Und wir können Silvester 2026 das Ende der Fingerabdruckpflicht für den Personalausweis feiern. Dafür werden wir arbeiten.”

Hintergrund

Seit August 2021 gilt in Deutschland eine Änderung des Personalausweisgesetzes (§ 5 Abs. 9 PAuswG). Seitdem müssen alle, die einen neuen Personalausweis beantragen, zwingend die Abdrücke beider Zeigefinger auf dem Chip des Ausweises speichern lassen. Dieses deutsche Gesetz ist die Umsetzung einer EU-Verordnung (Art. 3 Abs. 5 VO (EU) 2019/1175). Im November 2021 hat Detlev Sieber aus dem Digitalcourage-Team an seinem Wohnort Wiesbaden einen Personalausweis ohne gespeicherte Fingerabdrücke beantragt. Nach der erwartungsgemäßen Ablehnung erhob Digitalcourage Klage vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden. Das Verwaltungsgericht legte die Sache dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor. Heute hat der Europäische Gerichtshof sein Urteil zu der Klage mit der Verfahrensnummer C-61/22 bekannt gegeben.

Digitalcourage

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