Digitale Bildung

Didacta wettert gegen Open-Source

Der „Didacta-Verband“ beschwert sich über landeseigene Open-Source-Lösungen an Schulen. Angebliche „Markteingriffe“ würden das Bildungssystem gefährden. Sehen da etwa ein paar IT-Großkonzerne ihre Pfründe bedroht?

Jedes Jahr besuchen 70.000–100.000 Menschen die Bildungsmesse didacta, veranstaltet vom Didacta Verband. Vor allem Lehrkräfte stöbern auf der Fachmesse nach neuen Ideen für den Unterricht und innovativen Bildungstechnologien.

Auch unsere Medienpädagogin Jessica Wawrzyniak hat die didacta in den letzten Jahren besucht und ernüchtert festgestellt, dass dort nur sehr wenige freie Bildungsangebote zu finden waren. Kommerzielle Unternehmen und große Konzerne führen den Bildungsmarkt an – ganz vorne dabei: Microsoft. Die Diskussionen in der Bildungspolitik über Open Source sowie die ersten vollbrachten Schritte in Richtung von freiem, datenschutzfreundlichem digitalen Unterricht spielen auf der Bildungsmesse keine nennenswerte Rolle.

Den Erfahrungsbericht aus dem Jahr 2021 können Sie hier nachlesen.

Jessica Wawrzyniak:

„Ich habe auf ‚gute‘ Gründe gehofft, wieso so wenige Open-Source-Entwickler.innen auf der didacta zu finden sind – hohe Messestand-Preise oder ähnliches. Die Pressemitteilung des Didacta-Verbandes lässt nun aber durchblicken, dass diese Angebote gar nicht erwünscht sind – und das ist inakzeptabel!“

So heißt es in einer aktuellen Pressemitteilung des Didacta-Verbandes:

„Der Eingriff von Bund und Ländern in die freie Marktwirtschaft belastet die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler mit vermeidbaren Millionenbeträgen und schafft zudem verzerrte Wettbewerbsbedingungen. Aus Sicht der Bildungswirtschaft sollten sich Bund und Länder darauf konzentrieren, geeignete Rahmenbedingungen für eine gelingende Bildung zu schaffen. In der digitalen Welt zählen dazu Mindeststandards, ineinandergreifende Förderstrukturen und schlanke bürokratische Prozesse trotz föderaler Strukturen. Die Entwicklung, Programmierung und Betreuung von IT-Angeboten für Bildungseinrichtungen gehören nicht dazu."

Jessica Wawrzyniak:

„Frei übersetzt bedeuten diese Worte so viel wie: Liebe Open-Source-Software-Entwickler, bitte haltet eure Nase aus der Bildungswirtschaft heraus und überlasst die Bildung unserer Kinder den Großen.“

Freie Marktwirtschaft oder Lobbyismus?

Die zunehmende Einflussnahme großer Konzerne an Schulen steht schon lange unter kritischer Beobachtung. Einzelne Beiträge zu der Thematik sind z.B. im Blog „Bildungsradar – Ökonomisierung der Bildung unter Beobachtung“, bei LobbyControl oder den Verbraucherzentralen nachzulesen. Der Didacta-Verband spricht davon, dass Schulen die Anbieter frei wählen dürfen sollten. Das wäre unter Einhaltung einiger Kriterien durchaus vertretbar. Der Verband outet sich mit seinem Statement jedoch als Befürworter lobbyistischer Einflussnahme im Bildungssystem. Denn die Entwicklung von Bildungssoftware der freien Marktwirtschaft zu überlassen, führt unweigerlich zu einer Verstärkung des Effekts, den wir jetzt schon haben: stetig wachsende Konzernmacht.

padeluun, Gründungsmitglied von Digitalcourage:

„Eines wird häufig vergessen: Wenn wir nur auf die Servicedienste von Konzernen setzen, verarmt die breite Gesellschaft nicht nur finanziell. Wenn Wirtschaft vereinfacht nur noch aus einigen Zentrallagern und einem Heer an Auslieferungsfahrern besteht, die wortlos ein Paket ausliefern, braucht es keine Bildung mehr zum Leben. Dann verarmen wir als Gesellschaft geistig. Gerade einer Didacta sollten solche Zusammenhänge geläufig sein – sie sollte sich dem überbordenden Einfluss von Konzernen verweigern. Auch eine Messegesellschaft profitiert davon, dass viele kleine Firmen unter einen Hut gebracht werden müssen. Denn ganz sicher brauchen Großkonzerne keine Didacta – das können sie auch billiger in Hausmessen abhandeln.“

Ja, unser Bildungssystem hat Probleme

Weiter heißt es seitens des Verbandes, dass durch die staatliche Entwicklung von Bildungssoftware ein „erheblicher Mehraufwand [entstehen würde], weil Fach- und Lehrkräfte Aufgaben fachfremd übernehmen müssen. […] Schulen sollen ihrem Bildungsauftrag nachkommen und sich nicht mit IT-Verwaltung beschäftigen müssen.“ Damit hat der Didacta-Verband nicht ganz unrecht: Es fehlt geschultes IT-Personal in Bildungseinrichtungen und in der Lehrkräfteausbildung gibt es noch viel Luft nach oben, was Schulungen im Bereich der digitalen Bildung betrifft. Nicht zuletzt, weil schon in der Lehrkraftausbildung auf geschlossene Systeme gesetzt wird und eine Art Analphabetismus in Bezug auf Freie Software befeuert wird. Diese bildungspolitischen Herausforderungen zu lösen, fordern wir schon seit langer Zeit.

Trotz einiger Rückschläge sind sich viele Politiker.innen einig: Digitale Bildung muss auf Open-Source-Software aufbauen (besser noch Free-Open-Source, also mit einer entsprechenden Lizenz). Das ist die Richtung, in die auch der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung zielt. Und darauf nimmt auch der Didacta-Verband Bezug. Es ist den Veranstaltern der Bildungsmesse also nicht entgangen, wo die Reise hingehen soll. Hier liegt vermutlich der Knackpunkt: In den letzten Jahren und Jahrzehnten haben sich Großunternehmen gemütlich im Bildungsbereich ausgebreitet – und allmählich dämmert ihnen, dass diese Ausbreitung nicht endlos weitergehen, sondern sogar zurückgehen wird.

Wieso Freie Schulsoftware unserem Bildungsauftrag am besten gerecht wird und welche freien Programme es für Schulen bereits gibt, können Sie im Projekt „Netzwerk Freie Schulsoftware“ nachlesen.

Es gibt noch viel zu tun, aber den Kopf in den Sand zu stecken und auf kommerzielle Angebote von IT-Großkonzernen zurückzugreifen, ist keine Option.