Gesichtsanalyse bei Post und Real – Wir stellen Strafanzeige

In 40 Real-Supermärkten werden Kund.innen von Kameras mit Gesichtserkennung ausgespäht, ebenso in 100 Filialen der deutschen Post – zu Werbezwecken. Wir stellen Strafanzeige, um die Ausspähung von Kund.innen zu stoppen.
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Silhouette zweier Köpfe von der Seite, die durch grüne Leiterplatten ausgefüllt sind.

In 40 Real-Supermärkten werden Kund.innen von Kameras mit Gesichtserkennung ausgespäht, ebenso in 100 Filialen der deutschen Post – zu Werbezwecken. Wir stellen Strafanzeige, um die Überwachung und Analyse von Kund.innen zu stoppen.


Aktualisierung vom 19. Juni 2017: Wir veröffentlichen unsere Straf- und Ordnungswidrigkeitsanzeige gegen Real (PDF, 191 kB) und (Post, 171kB) wegen Verstoßes gegen § 6b BDSG.

Die Real-Filialen, die diese Technik einsetzen, wollen das Problem nicht erkennen. Die Pressesprecher wiegeln ab: die eingesetzte Software zur Gesichtserkennung von Kund.innen sei zertifiziert und datenschutzkonform. Außerdem seien in den Filialen klar erkennbare Hinweise zur Videoüberwachung angebracht. Und überhaupt, die Real-Filialen hätten die Daten nicht selber, sondern die gingen an den Dienstleister Echion, dem die Kameras und die Software gehören.
Beruhigend klingt das für uns nicht. Deshalb lassen wir uns nicht einlullen! Die Technik stellt einen groben Übergriff auf die Privatsphäre dar. Wir stellen Strafanzeige gegen Post und Real.

Die Software erkennt Geschlecht und Alter von Kund.innen

An den Türen der Supermärkte prangen die allgegenwärtigen Schilder „Dieser Markt wird videoüberwacht“. Zur Abschreckung von Ladendieben? Das war einmal. Die Kundinnen selbst werden jetzt beobachtet. Werbebildschirme in Filialen von Post und Real haben eingebaute Kameras. Die sind ausgestattet mit einer Software, die Alter und Geschlecht erkennt und aufzeichnet, wie lange eine Person den Bildschirm betrachtet. Real räumt ein, damit zielgruppenspezifische Werbung einspielen zu wollen, während die Post allen Ernstes behauptet, man wolle den Wartenden die Zeit in der Schlange versüßen.

Fest steht, dass mit Schildern, die auf Videoüberwachung hinweisen, Kundinnen nicht vor der Tragweite der Beobachtung gewarnt sind. Selbst wenn Kunden explizit aufgeklärt würden, rechtfertigt das nicht, sie vor die Wahl zu stellen, ob sie sich weiter zum Marketing-Objekt machen lassen und den Eingriff in ihre Grundrechte hinnehmen. Oder, ob sie in den Supermarkt gehen, der weiter entfernt ist, aber nicht überwacht wird. Oder, ob sie besser mit Browser-AddOns zum Selbstschutz, ihre Einkäufe im Internet erledigen.

Die Möglichkeiten der Gesichtsanalyse sind beängstigend

Bereits die gerasterten Gesichts-Merkmale sind bedenklich. Es ist leicht, zu erahnen, wohin das führt: Barbie-Werbung für Mädchen, Action-Helden für Jungen. Anti-Aging-Cremes für Frauen ab vierzig, Pheromon-Deodorant für Männer in ihren Zwanzigern. Als ob Gendermarketing nicht bereits genug nerven würde.

Post und Real beteuern, es werde nichts gespeichert und es würden keine Profile angelegt. Doch Branchen-Insider schwärmen bereits heute von den Möglichkeiten, die noch nicht genutzt werden. Ein Sprecher der Firma XPlace sagte gegenüber dem Spiegel: „Wir könnten problemlos den Kunden, sobald er in den Laden kommt, verfolgen – wenn er das WLAN an seinem Smartphone eingeschaltet hat, könnten wir die Netzwerkseriennummer des Geräts auslesen und auch speichern.“ Mehrere Unternehmen besitzen bereits Gesichtserkennungs-Software, die einen Menschen mit ebenso großer Sicherheit zuordnen kann, wie Menschen das können. Es wäre ein Leichtes für Post, Real und alle die noch folgen mögen, zu speichern und zuzuordnen – in Kombination mit anderen Daten, wie dem Girokonto oder Smart-Phone können die Daten auch mit der Identität verknüpft werden. Auch Szenarien, wie die Auswertung von Emotionen, während man sich im Blickfeld einer Kamera befindet, sind haarsträubend.

Nichts, was wir Fremden erzählen würden

Was unser Konsum über uns verrät, ist hochsensibel:

„Frau Mitte zwanzig, zum ersten Mal von der Kamera registriert am 8. April 2017; kommt zwei bis viermal pro Woche, verbringt durchschnittlich 38 Minuten am Point of Sale, kauft gerne Fleisch von der Hausmarke, Süßigkeiten mit Süßungsmitteln, Zigaretten, im Juni 2017 auch einen Schwangerschaftstest; kauft ab eine Woche vor Monatsende keine Markenprodukte mehr. Beobachtet Bildschirm auffällig lange bei Werbung für Frauenunterwäsche.“

Das sind keine Dinge, die wir Fremden auf der Straße erzählen würden. Die Risiken von Datensammlungen, die Möglichkeiten der Gewinnmaximierung auf Kosten der Verbraucher – all das ist skandalös. Erst dieses Jahr haben wir die prudsys AG mit einem BigBrotherAward ausgezeichnet: Sie vertreibt Software zur Preisdiskriminierung. Das geht sicherlich noch leichter, wenn wir erkannt werden, sobald wir ein Geschäft betreten – ob an unserem Gesicht oder an der Gerätenummer unseres Handys.

Offline-Tracking wegen Konkurrenz im Internet

Die Motivation liegt auf der Hand: Der Einzelhandel hat Konkurrenzdruck. Billigere Preise im Onlinehandel führen dazu, dass viele Verbraucher.innen lieber per Klick im Internet Produkte bestellen. Im Onlineversand ist das Tracking nicht die Ausnahme, sondern die Regel: „Kund.innen, die X mochten, haben sich auch Y angesehen“. Wenn Führungspersonen im Einzelhandel jedoch entscheiden, das Tracking ins analoge Leben zu holen, machen sie sich ein Alleinstellungsmerkmal kaputt. Für Konsumentinnen mit Bewusstsein für Datenschutz und Privatsphäre ist es durchaus attraktiv, beim Kauf mit Bargeld an der Supermarktkasse eben nicht beobachtet und durchleuchtet zu werden. Deshalb ist es auch aus wirtschaftlicher Sicht ein Fehler, die Objektifizierung der Konsumenten durch Offline-Tracking voranzutreiben.

Die Technik ist grundrechtswidrig

Sprecher von Real beschwichtigen, es werde nichts gespeichert und die Daten gingen direkt und verschlüsselt an die Echion AG, die die Hardware und Software bereitstellt. Doch das macht es nicht besser. Denn, was dort mit den Daten geschieht und wie sie ausgewertet werden, weiß die Öffentlichkeit nicht. Auch die Aussage, die Bilder wären nur für 150 Millisekunden im Speicher, erscheint fragwürdig – besonders wenn man bedenkt, dass auch analysiert wird, wie lange eine Person den Bildschirm angeschaut hat. Wie passt das zusammen? Selbst wenn es sich nur um Millisekunden handeln mag – Die Erhebung biometrischer Daten, die für die Gesichtsanalyse nötig sind, ist ein massiver Übergriff, denn sie machen uns eindeutig identifizierbar.

So sehr sie sich auch Mühe geben, diesen Umstand können die Vertreterinnen der Unternehmen auch nicht kleinreden. Auch die zukünftige Möglichkeiten geben Anlass zum Haareraufen: Emotionserkennung, Kundenprofile, Bewegungsprofile, Stimmungsanalysen, Bewertung nach Kaufkraft, personalisierte Preise, Datenhandel und mehr. Dazu kommt die Gefahr, dass sich auch Kriminelle und Geheimdienste Zugang auf die Systeme verschaffen können.

Menschen müssen die Möglichkeit haben, an Lebensmittel zu gelangen, ohne, dass dabei Ihre Gesichter biometrisch gescannt und analysiert werden. Einmal erfasst, verlieren die Kundinnen und Kunden die Kontrolle über die Daten.

Deshalb werden wir gegen Real und Post Strafanzeige stellen. Weil es nicht normal werden darf, auf Schritt und Tritt beobachtet und durchanalysiert zu werden.