TTIP untergräbt den Datenschutz

Im September 2014 hat Atlantic-community.org nach unserer Expertenmeinung zum Handelsabkommen TTIP gefragt. Wir haben einen Artikel zu TTIP und Datenschutz geschrieben, den Atlantic-community.org allerdings bis heute nicht veröffentlicht hat. Wir haben diesen Artikel jetzt hier – auf Deutsch und Englisch.

Kurzfassung: (Article in English) TTIP wird zu einer Verschlechterung von Datenschutzstandards führen und die europäische Datenschutzgesetzgebung untergraben. Der Datenschutz ist gar kein offizieller Gegenstand der Verhandlungen, wird dessen ungeachtet aber trotzdem diskutiert. Die Missachtung jeglichen Datenschutzes ist inzwischen ein Milliardengeschäft. Bei TTIP geht es darum viel Geld zu verdienen, ohne sich um den Datenschutz zu scheren.

Protest gegen TTIP

In ganz Deutschland sowie weiten Teilen Europas gibt es breiten Widerstand gegen TTIP und ähnliche Handelsabkommen. Der 11. Oktober 2014 wurde zum „Europäischen Aktionstag“ ausgerufen. Demonstranten gingen auf die Straße, um für eine große Petition zu werben, mit dem Ziel, mindestens eine Million Unterschriften gegen TTIP zu sammeln. (Den aktuellen Stand der Unterschriftensammlung finden Sie auf der Seite Stop-TTIP.org.) Zu den wichtigsten Aspekten, gegen die protestiert wird, gehören sicherlich die Geheimhaltung, der die Verhandlungen unterliegen, sowie das intransparente, undemokratische und außergerichtliche Prozedere im Rahmen der Investor-Staat-Streitschlichtung (ISDS). Darüber hinaus bestehen ernsthafte Bedrohungen für den Datenschutz und für Verbraucher- und Menschenrechte. In der Europäischen Union müssen bei der Verarbeitung persönlicher Daten deutlich strengere Schutzmaßnahmen ergriffen werden als in den USA. Bei TTIP geht es um Handel, und gerade der Handel mit Daten ist ein gigantisches Geschäft – leicht daran erkennbar, dass Google, Facebook und andere sich in ihrer regelrechten Datensammelwut gegenseitig übertreffen. Sie zeichnen sämtliche Bewegungen ihrer Nutzer im Netz auf und beteuern gleichzeitig, dies sei für die Kunden von Vorteil: die besten Suchergebnisse, das beste Infotainment, bester Bedienungskomfort, und natürlich: maßgeschneiderte Werbeanzeigen, die den Interessen des Nutzers bestmöglich entsprechen. Doch niemand weiß, auf welche Arten diese Unternehmen die gesammelten Daten wirklich verwenden. Es gibt schließlich Firmen, die ganz offen Profile anbieten mit aus Quellen wie Facebook gesammelten Daten – möglicherweise verkaufen Facebook und Co. ihnen die Ausgangsdaten direkt, oder stellen gar komplette Profile zur Verfügung.

Keine Souveränität für Nutzerinnen und Nutzer

Ein naheliegender Einwand könnte sein, dass alle Nutzer sich mit der Aufzeichnung und Auswertung ihrer Daten einverstanden erklärt hätten. Doch Nutzer können sich nur einverstanden erklären mit Praktiken, über die sie zuvor aufgeklärt wurden. In den Nutzungsbedingungen ist sehr vage die Rede von Daten, die „erhoben“ werden, „ausgewertet, um Ihren Bedürfnissen entgegen zu kommen“ und „Partnern mitgeteilt“. Niemand weiß, was mit den Daten geschieht, oder wer die Geschäftspartner sind, denen die Daten zur weiteren Verwendung überlassen werden. Insofern kann eine Einverständniserklärung der Nutzer gar nicht darauf basieren, dass sie ausreichend informiert worden wären. Dazu passt auch, dass Lobbyisten daran arbeiten, die geltenden Regelungen für Einverständniserklärungen aufzuweichen. Ohne vernünftige Mechanismen bei den Einverständniserklärungen haben Nutzer keine Chance auf Souveränität.

Handel mit sensiblen Daten

Diese Praktiken sind ein Angriff auf das Datenschutzverständnis vieler Deutscher und Europäer. Der Konflikt geht aber noch darüber hinaus: in den USA werden sehr sensible Daten erhoben, z. B. in Zusammenhang mit Krankheiten oder Homosexualität, ohne jegliche Einverständniserklärung der Betroffenen. Die Datensätze werden von Datenhändlern beispielsweise an die Pharmaindustrie verkauft. Dies ist ein Milliardengeschäft, dass Amerikaner nun auf Europa ausdehnen wollen. Einen Hinweis darauf, dass US-Bürger sich bisher nicht daran stören, gibt der Wikipedia-Artikel „Personal health record“ (elektronische Patientenakte). Der Eintrag beschreibt mögliche Risiken wie Verlust oder Diebstahl der Patientenakte, aber das Risiko, dass die Datenbankverwalter die Daten womöglich zweckentfremden könnten, wird nicht einmal erwähnt.

TTIP untergräbt europäische Gesetzgebung

Nach unserem Verständnis über die laufenden Verhandlungen bedroht TTIP viele Datenschutzvorkehrungen und untergräbt folglich die europäische Gesetzgebung. Tatsächlich hat die EU-Kommission gar kein Mandat, um im Rahmen von TTIP über Datenschutzstandards zu verhandeln. Dennoch haben die USA bereits versucht, die geplante EU-Datenschutzgrundverordnung zu einem Thema ihrer TTIP-Agenda zu machen. Diese Verordnung würde eine Vereinheitlichung der bisher unterschiedlichen europäischen Regelungen bedeuten und für Datenschutzverletzungen hohe Strafen verhängen. Es ist kaum überraschend, dass diese Aussicht die Lobbyisten der US-Regierung, der US-Handelskammer, von Google, Facebook und anderen auf den Plan rief. In Zusammenhang mit TTIP wurde die geplante Verordnung als Handelsschranke bezeichnet. Der TTIP-Entwurf erwähnt explizit Webhosting, Datenverarbeitung und -speicherung, Data Mining und Grid Computing. In anderen Dokumenten wird erwähnt, dass die US-Handelskammer und Unternehmen das Thema Datenübertragung ebenfalls zum Gegenstand des Abkommens machen wollen. Bei TTIP geht es darum, viel Geld zu machen, ohne sich um den Datenschutz zu scheren. Beispiele aus der laufenden Praxis führen uns vor Augen, wie weit die Standards sinken können. In den USA gibt es kaum Vorschriften zum Datenschutz. Aus diesem Grund dürfen europäische Unternehmen personenbezogene Daten nicht in den USA verarbeiten. Doch es gibt das sogenannte Safe Harbor Agreement, das es US-Unternehmen erlaubt, europäische personenbezogene Daten zu verarbeiten, wenn sie einfach behaupten, europäische Datenschutzbestimmungen einzuhalten. Weder müssen sie einen Beweis für die Einhaltung liefern, noch wird diese überprüft. Dieser „Hafen“ ist alles andere als „sicher“ – er ist letztlich Betrug. „Safe Harbor“ sollte daher abgeschafft werden.

Grundrechte sind keine Verhandlungsmasse

Ein faires Handelsabkommen kann nicht zustande kommen, solange den Profiten von Industrie und Handel höhere Priorität eingeräumt wird als dem Allgemeinwohl. Menschenrechte, demokratische Prozesse, Verbraucherschutz, Umwelt- und Datenschutz müssen gewährleistet und weiterentwickelt werden. Alle diese Rechte setzen Schranken gegen ungehemmte Geschäftsaktivitäten, und das mit guten Gründen. Wir brauchen internationalen Rechtsschutz für diese Rechte – heimliche Deals in Hinterzimmern brauchen wir nicht. Die EU-Datenschutzgrundverordnung muss in Kraft treten, ohne weiter verwässert zu werden. Insbesondere müssen das Marktort-Prinzip und die vorgesehenen hohen Strafzahlungen bei Datenschutzverstößen durchgesetzt werden. Wie Thilo Weichert, Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein, sagt: „Entweder die USA erkennen den europäischen digitalen Grundrechtsschutz an, oder es kann insofern keinen transatlantischen Freihandel geben.“ (Quelle: https://www.datenschutzzentrum.de/internationales/20140908-freihandelsabkommen-ttip-contra-datenschutz.html)

TTIP hebelt die Souveränität demokratischer Staaten aus und legt die Rechtsprechung in die Hände fragwürdiger Schiedsgerichte. Dabei gibt es in Deutschland, in Europa und in den USA funktionierende Rechtssysteme, an die sich Investoren im Streitfall wenden können. Der Datenschutz muss eine höhere Priorität haben als der Investitionsschutz. Datenschutz ist ein Grundrecht. Unsere Rechte und unsere Daten sind keine Ware, mit der gehandelt werden darf.

Rena Tangens
Rena Tangens ist eine deutsche Datenschutz-Aktivistin und Internet-Pionierin. Sie ist eines der Gründungsmitglieder der NGO Digitalcourage, die sich für Datenschutz und Menschenrechte im digitalen Zeitalter einsetzt, sowie einer der Köpfe hinter den deutschen BigBrotherAwards.


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Foto Rena Tanges: Fabian Kurz CC BY SA 3.0