Versammlungsfreiheit - Gradmesser einer lebendigen Demokratie

Demokratie braucht lebendige Demonstrationen. Versammlungsgesetze zu verschärfen, ist ein Angriff auf die Zivilgesellschaft. In NRW wird gerade ein neues Gesetz geplant.

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Die Versammlungsfreiheit ist ein Gradmesser für den Freiheitsgrad einer Gesellschaft. Sie ist geregelt in

Artikel 8 Grundgesetz:

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Liberale Gesellschaften assoziieren wir mit großen, friedlichen Versammlungen, autoritäre mit Bildern von Demos, bei denen die Polizei Gewalt einsetzt, Demonstrierende verhaftet und überwacht.

Bedeutende gesellschaftliche Veränderungsprozesse werden weltweit (fast) immer durch Versammlungen angestoßen oder jedenfalls begleitet. Deshalb werden sie von Regierungen oft als Gefahr gesehen.

Seit 1953 gibt es ein Bundesversammlungsgesetz. Seit 2006 dürfen die Länder eigene Versammlungsgesetze erlassen. Dort, wo das nicht passiert ist, gilt das Bundesversammlungsgesetz weiterhin. (Details dazu weiter unten auf dieser Seite.)

Die autoritäre Formierung der Sicherheitsgesetze geschieht nicht von selbst. Sie erfolgt, weil konservative Politiker.innen und polizeiliche Lobbyisten sie beharrlich einfordern. Das bedeutet aber auch, dass die Entwicklung gestoppt und erforderlichenfalls auch umgekehrt werden kann. Beispielweise Berlin und Schleswig-Holstein haben gezeigt, wie modernere und grundrechtsfreundlichere Versammlungsgesetze aussehen können.

Autor.innen: Jonas Höltig, Martin Schimke (beide Netzwerk Rechtskritik) und Claudia Fischer (Digitalcourage)
Datum: 22.6.2021 Update zum Sachstand in NRW: 28.6.2021

Digitalcourage, CC-BY 4.0

Wir haben der Versammlungsfreiheit ein Heft aus unserer Reihe "kurz und mündig" mit vielen weiteren Informationen und Übersichten gewidmet.

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Aktuell in Arbeit: Das Versammlungsgesetz Nordrhein-Westfalen

Aktuell (Herbst 2021) berät der Landtag NRW ein neues Versammlungsgesetz. Es sind umfangreiche Verschärfungen vorgesehen, mit denen wir nicht einverstanden sind.

Digitalcourage ist Mitglied im Bündnis "Versammlungsgesetz NRW stoppen!", gemeinsam mit 170 weiteren Organisationen.

Es gibt verschiedene Demonstrationen gegen das geplante NRW-Gesetz - die bisher größte mit 8.000 Teilnehmer.innen fand am 26. Juni 2021 in Düsseldorf statt. Es kam während dieser Demonstration zu Zwischenfällen von Polizeigewalt.

Für aktuelle Informationen über diese Zwischenfälle, aber natürlich auch zu kommenden Demos in Ihrer Nähe, besuchen Sie bitte die Homepage des Bündnisses Versammlungsgesetz NRW stoppen!.

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Mobilisierungsmaterial zu diesen Demos in NRW können Sie in unserem Shop bestellen.

Sachstand im Gesetzgebungsverfahren NRW

Der Gesetzesentwurf liegt der Landesregierung vor.

Bislang hat lediglich die 1. Lesung stattgefunden, in der der Gesetzesentwurf zur Beratung in den Innenausschuss überwiesen wurde. Der Innenausschuss hat am 6. Mai 2021 Sachverständige angehört. Wann und in welcher Form das Gesetz beschlossen wird, ist noch unklar.

Der weitere Fahrplan könnte sich wie folgt darstellen:
* Frühestmögliche Behandlung im Innenausschuss: 8. Dezember 2021
* Den Änderungsantrag der CDU vom 6.12.2021 können Sie unter diesem Link als PDF herunterladen. * Wir haben diesen Änderungsantrag hier kommentiert. * Die Kritik des Bündnisses "NRW-Versammlungsgesetz stoppen" (zu dem wir auch gehören) an diesem Änderungsantrag finden Sie auf der Bündnis-Website. * Frühestmögliche 2. und 3. Lesung im Landtag: 15./16. Dezember 2021

Ordnungswidrigkeit oder Straftat?

Verstöße gegen die Versammlungsgesetze können als Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten gelten.

Der Unterschied:

  • Ordnungswidrigkeiten (OWi): leichtere Regelverletzungen, Bußgelder sind gedeckelt.
  • Straftaten (ST): schwere Regelverstöße, es drohen Geld- und Freiheitsstrafen, werden meistens vor Gericht verhandelt, manchmal gibt es einen Eintrag ins Führungszeugnis.

Behörden müssen Straftaten verfolgen (z. B. Personalien aufnehmen), während das bei Ordnungswidrigkeiten in ihrem Ermessen steht. Dies ist insbesondere beim Vermummungsverbot relevant.

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Die Bundesländer treffen also eine unheimlich wichtige Entscheidung, wenn sie Verstöße als Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten klassifizieren. Die Angst vor einer strafrechtlichen Verfolgung hat einen extrem einschüchternden Effekt auf Menschen und damit auf die Entscheidung, ihre Versammlungsfreiheit wahrzunehmen.

Außerdem zeigt sich darin eine Grundhaltung: Welche Handlungen hält der Staat für so schlimm, dass er Menschen dafür ihrer Freiheit berauben würde? Wie weit will er die Versammlungsfreiheit einschränken?

Versammlungsgesetze bundesweit

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Die Grafik hebt farblich hervor, in welchen Bundesländern es individuelle Landesversammlungsgesetze gibt. Überall dort, wo es keine Landesversammlungsgesetze gibt, gilt das Bundesversammlungsgesetz.

Bayern 2008 (CSU)
Das Versammlungsgesetz wurde wegen Rechtswidrigkeit 2010 teilweise außer Kraft gesetzt. Ein Jahr später trat ein deutlich modifiziertes und entschärftes Versammlungsgesetz in Kraft.

Sachsen-Anhalt 2009 (CDU/SPD)
Die neue Koalition aus CDU, SPD und Grünen prüfte 2021 eine Verschärfung des Versammlungsgesetzes als Reaktion auf rechtsradikale Corona-Demos. Es kam aber zu keiner Einigung.

Sachsen 2010 (CDU/FDP)
Der Verfassungsgerichtshof Sachsen erklärte das Gesetz 2011 aufgrund eines erheblichen Formfehlers für nichtig. Nachdem dieser behoben wurde, trat das Gesetz 2012 endgültig in Kraft.

Niedersachsen 2011 (CDU/FDP)
Nach einem Regierungswechsel reformierten SPD und Grüne das Gesetz. Sie strichen u. a. die umstrittene Bannmeilenregelung und stuften Vermummungen zu Ordnungswidrigkeiten herab (siehe oben).

Schleswig-Holstein 2015 (SPD/Grüne/SSW)

Berlin 2021 (SPD/Linke/Grüne)
Dieses Gesetz wird als eines der liberalsten angesehen. In der Tabelle oben wird sichtbar, dass viele Verstöße gegen das Berliner Versammlungsgesetz als Ordnungswidrigkeiten definiert sind, die anderswo als Straftaten gelten.

Nordrhein-Westfalen 2021 (geplant) (CDU/FDP)
Das NRW-Gesetz soll im Sommer 2021 verabschiedet werden. Details finden Sie weiter oben im Artikel und auf der Homepage des Bündnisses Versammlungsgesetz NRW stoppen!.

Newsletter vom 19.03.2021

Gesicht scannen? Nicht bei mir!

Wir rufen auf: zum Unterzeichnen der offiziellen EU-Bürgerinitiative von #ReclaimYourFace. Das Ziel der Bürgerinitiative ist ein gesetztliches Verbot von biometrischer Massenüberwachung.